Die Bundestagswahl 2025 kann zu neuen politischen Impulsen für eine bessere Wirtschaft durch mehr Unternehmertum führen. Wir von EVEREST haben uns aus diesem Anlass damit beschäftigt, was sich für Selbstständige und Unternehmer*innen ändern könnte, wenn die verschiedenen Parteien an die Macht kommen. Welche Rolle spielen also Innovation und Gründung in der Politik? Welche Ideen könnten die Zukunft der Selbstständigkeit beeinflussen?
Nun sind Wahlprogramme nicht bereits Regierungsprogramme und Regierungsprogramme werden nur zu einem Teil umgesetzt. Das Thema “Gründungsadministration vereinfachen” stand beispielsweise in den letzten vier Regierungserklärungen - zuletzt mit dem schönen Wording “Gründung in 24h”.
Seit über 20 Jahren arbeiten wir mit Politikberatung für alle Parteien der Mitte und Ministerien – meist in Form von Gutachten. Oft ist Fortschritt sprichwörtlich “eine Schnecke” und so manches Konzept von uns harrt immer noch seiner Umsetzung. Zu nennen wäre hier nur mal unser „Leitmodell zur Optimierung der formalen Existenzgründungsverfahren in Deutschland“, in dem wir schon 2008 nachwiesen, dass sich alle zentralen Meldeverfahren für eine Gründung (Gewerbe, Finanzamt, Betriebsnummer, Krankenkasse, Renten- und Unfallversicherung, Kammermitgliedschaft und sogar handwerksspezifische Verfahren wie die Eintragung in die Handwerksrolle) mit einem zentralen Datenset erledigen ließe, das nur ein Zehntel bis Fünftel so groß ist wie (zumindest damals) übliche Datenerhebung zu diesen Zwecken. Erfahrungen wie diese gehörten zu den Gründen, weswegen wir seitdem nur noch Auftragsstudien machen, wenn wir selbst eine Chance sehen, unsere Empfehlungen danach vor allem durch Software oder eine Empowerment-Plattform selbst umzusetzen. Wir verstehen nach über 20 Jahren Think and Do Tank Tätigkeit die Zwänge und Rationalität von Parteien, Regierungen und Ministerien ziemlich gut und versuchen uns auf das zu konzentrieren, was machbar ist, zu konzipieren und umzusetzen.
So haben wir im Auftrag der KfW Bank zusammen mit der Gründerplattform ein Adaptions-Konzept rund um das französische Modell Auto-Entrepreneur entwickelt. Der Auto-Entrepreneur vereinfacht das Leben für Kleinstunternehmen in Frankreich in und nach der Gründung durch einen digitalen One-Stop-Shop – und zwar einen, der den Namen ausnahmsweise mal verdient.
Wir haben herausgearbeitet, was davon im deutschen System umsetzbar wäre, und darauf basierend eine Lösung entwickelt. Dabei haben wir alle möglichen Ausnahmen und Vereinfachungen aus bestehenden Regulierungen – z.B. der Kleinunternehmerregelung, der Kleingewerberegelung und den Vorschriften für Freie Berufe – berücksichtigt. Unser Konzept folgt dem Prinzip moderner Apps und reduziert die Komplexität so weit und gleichzeitig im bestehenden Rechtsrahmen, dass die Umsetzung jederzeit erfolgen könnte – obwohl ein “deutscher Auto-Entrepreneur" so nie in einem Parteiprogramm stand. Dieser Prozess hat fast zwei Jahre gedauert und wir sind sehr gespannt, wo er uns hinführt. Unter der Begrifflichkeit “Start Deins” bieten wir für Kleinstgründungen einen besonders einfachen und vergleichsweise kurzen Gründungsweg ab.
Das politische Großprojekt “Gründung in 24h” setzten wir in der Gründerplattform-App um, wo wir für hunderte Geschäftsprofile die Regularien ausgewertet und die Gründung beim Finanzamt und Gewerbeamt digital vorbereitet haben. Seit Monaten laufen dazu Pilotgruppen.
Was findet sich nun in Richtungen wie diesen an alten und neuen Ideen, Konzepten und Buzzwords in den Parteiprogrammen der Mitte?
Selbstständige sind Treiber von Fortschritt und wirtschaftlichem Wachstum. Doch häufig kämpfen sie mit überzogenen bürokratischen Hürden, erschwertem Kapitalzugang oder mangelnder Förderung. Die Parteien haben das erkannt – aber antworten darauf mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Während einige gezielt Startups fördern wollen, setzen andere auf Steuererleichterungen oder den Abbau von Bürokratie. Besonders das Konzept der Innovationsökosysteme spielt in den Wahlprogrammen eine zunehmende Rolle.
Wir haben in die Wahlprogramme der CDU, SPD, Grünen, Volt und der FDP für die Bundestagswahl 2025 geschaut und untersucht, welche Maßnahmen sie unter dem Gesichtspunkt Innovation und Fortschritt für Selbstständige planen.
Die CDU plant Maßnahmen, um Selbstständige und Gründer*innen zu unterstützen. Eine „Gründerschutzzone“ soll bürokratische Hürden in der Startphase abbauen. Zudem wird der Ausbau von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz vorangetrieben, um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Startups aus der Spitzenforschung will sie gezielt dabei fördern, sich zu globalen Marktführern zu entwickeln. Kleine und mittlere Unternehmen sollen durch einen leichteren Zugang zu Forschungs- und Innovationsökosystemen profitieren.
Unser Kommentar: „Gründerschutzone” ist ein wunderbares motivierendes Wort. Was sich dahinter verbergen könnte, wissen wir noch nicht. Ideen hätten wir schon:
Oder weitergedacht: Der französische Auto-Entrepreneur, wo Finanzamt, Sozialversicherungspartner, Gewerbeämter und Krankenkassen gemeinsam ein Paket schnüren, das in 30 Minuten zu beantragen ist und mit dem in Freigrenzen die Gründung sofort möglich ist. Der Umsatz muss monatlich in eine Webseite eingetragen werden und alle (politisch stark subventionierten) Abgaben werden automatisch errechnet und eingezogen.
SPD und die Grünen betonen unisono die Bedeutung von gesellschaftlich verantwortungsvollen Investitionen und schlagen dafür Instrumente wie eine „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ vor, um Unternehmen dauerhaft nachhaltig auszurichten. Zusätzlich planen beide Parteien die Einrichtung eines „Deutschlandfonds“, der innovative Projekte finanziell unterstützt und den Zugang zu Kapital für Gründer*innen erleichtert. SPD und Grüne wollen mit Digitalcheck und Praxischeck neue Gesetze vorab auf ihre Praxistauglichkeit und digitale Umsetzbarkeit prüfen, um Bürokratie abzubauen und Verfahren zu vereinfachen.
Unser Kommentar: Deutsche Forschungsförderung landet bislang leider meist bei Großunternehmen und Konzernen, die oft das Geld einstreichen, ohne die Ergebnisse in die Umsetzung zu bringen. Milliarden werden hier nicht effektiv eingesetzt. In den letzten Jahren entstand aus der Ampel heraus ein besseres Modell: die über die Finanzämter ausgereichte Forschungszulage. Auch bei ihr drohen zwar hohe Mitnahmeeffekte, aber es werden auch wirklich KMUs und nicht Konzerne erreicht. Das hat Potential.
Die SPD setzt auf Innovation und Digitalisierung, um Unternehmen und Selbstständige zu unterstützen. Inkubatoren, Gründungszentren und KI-Ökosysteme sollen den Übergang von Forschung in die Praxis erleichtern, besonders in Bereichen wie Medizin, Materialforschung und Bildung. Gleichzeitig soll die Forschungsförderung für Schlüsselindustrien und nachhaltige Technologien (GreenTech) ausgebaut werden.
Unser Kommentar: Zur Forschungsförderung über die üblichen Verdächtigen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und den Projektträger Jülich gilt das oben Gesagte. Der Rest der SPD-Pläne sind eine Liste von Instrumenten, die es schon gibt und die mäßig gut funktionieren.
Die Grünen verfolgen eine Innovationsstrategie, die Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft enger vernetzt. Durch regionale Innovationsökosysteme, die Förderung von KI und Cybersicherheit sowie den Abbau von Bürokratie soll der Zugang zu zukunftsweisenden Technologien erleichtert werden. Die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) soll die regionalen Innovationsökosysteme unterstützen (auch die SPD erwähnt die DATI und möchte sie „zum Erfolg führen“). Die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) soll helfen, bahnbrechende Technologien und nachhaltige Innovation zu entwickeln und diese in marktreife Produkte zu überführen. Außerdem planen die Grünen, den Zugang zu beruflicher Qualifikation zu erleichtern, indem sie den Meisterbrief kostenlos machen, um Handwerksberufe und unternehmerische Tätigkeiten attraktiver zu machen. Es soll eine „neue Gründungskultur“ entstehen und einen „One-Stop-Shop“, welcher Begleitung und Beratung aus einer Hand anbietet.
Unser Kommentar: Wir sind große Fans der SPRIND-Agentur und freuen uns über die politische Unterstützung für ihre wegweisende Arbeit. Die angepassten Regulierungen waren Sternstunden der Ampelkoalition, und die Initiierung von SPRIND zählt zu den besten Entscheidungen Angela Merkels in ihrer letzten Amtszeit. Das DATI-Pilotprojekt kennen wir nicht selber, das dahinterliegende Wettbewerbsverfahren finden wir aber super. Der Begriff „Innovationsökosysteme“ hingegen bleibt zunächst sprachliche Folklore – entscheidend ist, was tatsächlich entsteht.
Wir glauben an das enorme Potenzial von Wissenschafts-Spin-offs – egal ob aus großen Forschungseinrichtungen oder kleineren Uni-Laboren. Deshalb haben wir für Universitäten und die Wirtschafts- und Innovationsbehörde Hamburg Konzepte und Plattformansätze entwickelt, die genau hier ansetzen. Aber eines ist klar: Wissenschaftlerinnen sind primär Problemlöserinnen, keine Unternehmer*innen. Die meisten denken in Forschungsfragen, nicht in Vertriebskanälen oder Geschäftsmodellen.
Der Schlüssel liegt darin, sie genau dort abzuholen – on the job, mit einem schrittweisen Zugang zu Produktentwicklung, Vertriebsstrategien und tragfähigen Geschäftsmodellen. Denn nur so lassen sich aus Forschungsergebnissen echte Startups formen, die als neuer Mittelstand wirtschaftliche Schlagkraft entwickeln.
Dafür braucht es mehr Didaktik, bessere EdTech-Ansätze und überzeugende Role Models – nicht die üblichen BWL-Crashkurse, die meist mehr abschrecken als helfen. Schließlich wurde BWL entwickelt, um Großunternehmen zu administrieren – nicht um aus einer guten Idee schnell ein skalierbares Unternehmen zu machen.
Ein kostenloser Meisterbrief sehen wir als einen logischen Schritt: Schließlich ist auch ein Studium in Deutschland meist kostenlos.
Volt setzt auf eine innovationsgetriebene Wirtschaft mit klaren Anreizen für Selbstständige und Startups. Besonders die Stärkung von Netzwerken, die Förderung von Social Startups und steuerliche Erleichterungen sollen das Unternehmertum in Deutschland unterstützen. Zudem soll eine intensivere EU-weite Förderung von Zukunftstechnologien und Gründungsstipendien den Einstieg in die Selbstständigkeit erleichtern.
Unser Kommentar: Vor zehn Jahren haben wir für das BMWK ein Gutachten zur Förderung von Sozialem Unternehmertum geschrieben– das war damals Neuland und im liberalen BMWK mussten wir uns ganz schön viele Sprüche dazu anhören. Das Thema ist dann aber immer mehr zu Realpolitik geworden und es jetzt auch auf skalierende Startups auszuweiten wäre richtig, wenn auch nicht neu.
Das Thema Gründerstipendien ist seit Jahren auf dem Vormarsch, aber hat viel Potential, noch ausgeweitet zu werden. Am besten wäre, wenn die Bundesagentur für Arbeit ihre fünf Milliarden Euro Arbeitsmarkt-Förderungen zu einem Teil hierfür nutzt – was gibt es denn Besseres als eine Weiterbildung im echten MACHEN?
Die FDP setzt auf eine wirtschaftliche Dynamik, die Selbstständigen durch weniger Bürokratie, digitale Prozesse und steuerliche Anreize den unternehmerischen Alltag erleichtern soll. Gründungen sollen erleichtert werden, indem Venture-Capital gefördert, Entrepreneurship-Education gestärkt und der Zugang zu Wagniskapital verbessert wird. Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sollen stärker an den tatsächlichen Einnahmen orientiert werden, um finanzielle Belastungen für Selbstständige mit schwankendem Einkommen zu reduzieren.
Unser Kommentar: Dies sind alles altbekannte Forderungen, die in den letzten Jahren von der Ampel auch durchaus vorangebracht wurden. Der letzte Punkt ist für uns der wichtigste: Die Sozialversicherungssysteme sind für den frühindustriellen Traum “Alle werden Arbeitnehmer” geschaffen worden. Bei unser Firmenhilfe allerdings gehören hohe Nachzahlungsforderungen der Krankenkassen und Finanzämter zu den häufigsten Auslösern von Krisen – meist sicher auch mitverschuldet von den wenig finanziell kompetenten Selbständigen, die den Überblick verlieren. Das geht besser, wie der erwähnte französische Auto-Entrepreneur mit über 2 Millionen neuen Selbständigen zeigt.
Unser Blick auf die Parteienlandschaft zeigt: Ja, es dauert alles langsamer als wir es uns wünschen würden. Aber es geht voran. Wir hätten uns von den Parteien mehr substanzielle Ideen und Konzepte zu innovativer, besserer Wirtschaft für alle gewünscht - aber es fallen in den Programmen genug Buzzwords, die bei guter Ausgestaltung die Kraft haben, uns voranzubringen.
Wir von EVEREST arbeiten auf jeden Fall weiter für eine bessere Wirtschaft – mit und ohne nächste Aufträge der Exekutive.