Von Daniel Schallmo
In der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der britischer Ingenieur Isambard Brunel die Aufgabe, Zugstrecken der Great Western Railway zu planen und umzusetzen. Statt einfach nach der besten technischen oder günstigsten Lösung zu suchen, hatte er die Passagiere im Fokus. Er wollte ihnen das Gefühl geben, über die Landschaft zu schweben. Design Thinking war geboren! Brunel konstruierte Brücken, Viadukte und Tunnel, die sowohl einen effizienten Transport, als auch eine ideale Erfahrung für Passagiere ermöglichten.
Sich zuerst am Nutzer zu orientieren und erst dann nach der technischen Machbarkeit und Profitabilität zu fragen – und trotzdem alle drei Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen – ist ein wichtiges Prinzip innerhalb von Design Thinking.
Damals wie heute ist die nutzerorientierte Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen ein wichtiger Erfolgsfaktor von Unternehmen, da Fehlentwicklungen und Flops vermieden werden können. Zudem ist es möglich, Nutzer bzw. Kunden zu begeistern und diese mit passenden Produkten und Dienstleistungen langfristig an das Unternehmen zu binden.
Der Ansatz des Design Thinking verfolgt die Zielsetzung, für bestehende Probleme neue Lösungen zu entwickeln. Diese Lösungen orientieren sich konsequent an den Bedürfnissen der Nutzer und haben einen positiven Einfluss. Der Design Thinking Prozess ist strukturiert und erfolgt iterativ. Innerhalb des Design Thinking Prozesses setzt ein multidisziplinäres Team bestimmte Techniken ein.
Design Thinking ist von vier grundlegenden Prinzipien geprägt, die sich gegenseitig beeinflussen. Zu den vier grundlegenden Prinzipien gehören:
Abbildung: Prinzipien im Design Thinking (Schallmo, 2017, S. 14; Weinberg, 2012)
Um Design Thinking strukturiert und zielgerichtet umzusetzen, liegt ein Vorgehensmodell vor, das aus sieben Phasen besteht. Die sieben Phasen in der nachfolgenden Abbildung dargestellt.
Abbildung: Phasen im Design Thinking (Schallmo, 2017, S. 59)
Die Phasen werden kurz erläutert und anhand eines Beispiels für die Entwicklung neuer Leistungen für einen Supermarkt (in Anlehnung an: Kramer, 2015).
Zunächst gilt es, unterschiedliche Themenfelder abzuleiten. Die unterschiedlichen Themenfelder werden diskutiert, um sich anschließend auf ein Themenfeld festzulegen. Für das ausgewählte Themenfeld wird eine Design Challenge formuliert, die beantwortet werden soll. Es werden ebenso typische User festgelegt. Anschließend wird ein Projektplan erarbeitet, der Termine, Kosten und Ergebnisse beinhaltet.
Beispiel: Der Geschäftsführer eines Supermarkts stellt fest, dass der Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel stark zunimmt und die Umsätze stagnieren bzw. sogar abnehmen. Aus diesem Grund ist der Geschäftsführer mit seinem Team auf der Suche nach neuen Leistungen, die er gezielt ausgewählten Kundensegmenten anbieten kann. Nach der Ableitung und Diskussion unterschiedlicher Themenfelder definiert das Team folgende Design Challenge: „Wie kann man das Einkaufserlebnis von älteren Menschen in Supermärkten verbessern?“
Die Beschreibung der Design Challenge ist in der nachfolgenden Abbildung dargestellt.
Abbildung: Beschreibung der Design Challenge (Schallmo, 2017, S. 65)
2. Design Challenge verstehen
In dieser Phase gilt es, ein gemeinsames Verständnis zur Design Challenge, die bewältigt werden soll, aufzubauen. Hierfür werden typische User in relevanten Situationen und mit ihren Problemen, die sie zu bewältigen haben, analysiert. Diese Analyse erfolgt mittels einer Befragung und einer Beobachtung. Bestehende Lösungen, die am Markt verfügbar sind, werden getestet und Experten werden befragt, um ein Fachwissen zur Design Challenge aufzubauen.
Beispiel: Um die Design Challenge zu verstehen, befragt das Team ältere Menschen im Supermarkt nach ihren Einkaufserlebnissen. Dabei stellt das Team viele offene Fragen und es werden Antworten gesammelt. Zusätzlich werden das Alter und der frühere Beruf erfasst. Die Ergebnisse werden in dem Interviewprotokoll zusammengefasst. Neben der Befragung von Usern, entscheidet sich das Team, zusätzlich eine Beobachtung von älteren Menschen beim Einkaufen vorzunehmen. Dabei wird insbesondere auf die Probleme der älteren Menschen geachtet, wie z.B. das Erreichen von Produkten in oberen/unteren Regalen oder das Lesen der Inhaltsstoffe auf den Verpackungen.
3. Sichtweisen definieren
Die Erkenntnisse, die in der vorherigen Phase gewonnen wurden, werden in dieser Phase ausgetauscht, interpretiert und gewichtet. Es werden typische User beschrieben, indem Nutzerprofile erstellt werden. Auf Basis der Nutzerprofile werden Bedürfnisse hinsichtlich der gewünschten Funktionen, Anforderungen und Erfahrungen von Produkten und Dienstleistungen abgeleitet.
Beispiel: Die gewonnenen Erkenntnisse werden in einem Nutzerprofil mit Charakteristika konkretisiert und festgehalten. Das Nutzerprofil dient anschließend dazu Bedürfnisse abzuleiten. Der 72-Jährige Hans legt z.B. Wert auf sozialen Kontakt beim Einkaufen und bevorzugt eine kurze Schlange an der Kasse. Das Nutzerprofil (=User Empathy Map) für Hans ist in der folgenden Abbildung dargestellt.
Abbildung: User Empathy Map (Schallmo, 2017, S. 85)
4. Ideen gewinnen
In dieser Phase werden mittels des Einsatzes von Kreativitätstechniken Ideen gewonnen, die dazu dienen sollen, die zuvor identifizierten Bedürfnisse zu erfüllen. Diese Ideen werden gruppiert und überarbeitet. Anschließend werden die Ideen beschrieben und bewertet.
Beispiel: Aufgrund des sozialen Aspekts, hat ein Teammitglied die Idee das Einkaufen als Erlebnis, mit Kaffee und Kuchen, zu gestalten. Eine weitere Idee ist, dass der Kunde bequem an einer Theke sitzt und sich die Lebensmittel auf einem Laufband, wie in einem Running-Sushi-Restaurant, zum Kauf vorbei bewegen. Der Ideenpool für ein besseres Einkaufserlebnis ist in der folgenden Abbildung dargestellt.
Abbildung: Ideenpool (Schallmo, 2017, S. 94)
5. Prototypen entwickeln
Die gewonnenen Ideen dienen dazu, Prototypen zu entwickeln. Ein Prototyp stellt somit eine Lösung für die beschriebene Herausforderung dar. Prototypen können in unterschiedlichen Formen entwickelt werden. Im Anschluss an die Entwicklung von Prototypen werden diese verbessert und kombiniert.
Beispiel: Um einen Prototyp zu entwickeln, werden einfache Mittel wie Tische (=Theke), Stühle (=Sitzplätze) und Folie (=Laufband) eingesetzt, um die gewonnenen Ideen zu visualisieren und umzusetzen. Der Prototyp wird intern getestet und verbessert, indem Teammitglieder die Rolle des Servicepersonals und die Rolle der User einnehmen und Situationen durchspielen. Somit wird z.B. deutlich, dass sich das Laufband nicht zu weit entfernt von dem User befinden darf, da die Lebensmittel dadurch schwer erreichbar sind.
6. Prototypen testen
Die unterschiedlichen Prototypen werden den Nutzern vorgestellt, um sie anschließend mit den Nutzern zu testen. Dabei sollen wichtige Erfahrungen, auch hinsichtlich der Verwendung von Prototypen, gewonnen werden. Prototypen werden ebenso am Markt getestet. Die gewonnenen Erfahrungen dienen anschließend der Verbesserung und Weiterentwicklung von Prototypen. Anhand der Bewertung der Prototypen wird ein erfolgversprechender Prototyp ausgewählt.
Beispiel: Der verbesserte Prototyp wird nun älteren Menschen vorgestellt. Zusätzlich werden diese in das Durchspielen verschiedener Situationen integriert. Somit wird getestet, ob das Konzept generell tauglich ist und an welchen Stellen eine Überarbeitung notwendig ist.
7. Prototypen integrieren
In dieser Phase erfolgt mit Hilfe eines einheitlichen Rasters die Entwicklung eines Geschäftsmodells, das den Prototyp für ein Produkt oder eine Dienstleistung integriert. Somit liegt ein Geschäftsmodell mit folgenden fünf Dimensionen vor: Kundendimension, Nutzendimension, Wertschöpfungsdimension, Partnerdimension, Finanzdimension (Schallmo, 2017, S. 44).
Beispiel: Der getestete und weiterentwickelte Prototyp wird in das bestehende Geschäftsmodell des Supermarktes integriert, indem ein separater Bereich erstellt wird, der den bequemen Einkauf an einem Laufband mit Kaffee und Kuchen ermöglicht.
Mittels Design Thinking kann in Unternehmen die Arbeitskultur verbessert und Innovationsprozesse effizienter gestaltet werden. Die eigesetzten Instrumente ermöglichen es zudem, gezielt Kunden zu integrieren und über die erzeugte Kundenorientierung einen höheren Absatz und letztlich eine höhere Profitabilität zu erzielen.
Neben dem originären Einsatz von Design Thinking für den Aufbau eines Kundenverständnisses und der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen, kann Design Thinking selbstverständlich auch in anderen Bereichen eingesetzt werden. Dazu gehören zum Beispiel die interne Weiterbildung, Coaching, Wissenstransfer und die Entwicklung ganzer Marketingkampagnen (Schmiedgen, 2015, S. 58 und 101).
Abbildung: Design Thinking in a Nutshell (Kostenlose Vorlage zum Ausdrucken unter: www.gemvini.de/downloads)
Prof. Dr. Daniel Schallmo leitet das Institut für Business Model Innovation (IfBMI) in Ulm und war an der Universität Ulm am Institut für Technologie- und Prozessmanagement tätig. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Entwicklung und Anwendung einer Methode zur Innovation von Geschäftsmodellen, vorwiegend in Business-to-Business-Markten. Daniel Schallmo ist in Bachelor- und Masterstudiengängen für die Themengebiete Strategie-, Geschäftsmodell-, Prozess- und Innovationsmanagement als Dozent tätig. Zuletzt war er Gastprofessor an der Deutschen Universität in Kairo, Ägypten.
Brown, T., Change by Design. Harper Business, 2009.
Curedale, R., Design Thinking. Design Community College, 2013.
Erbeldinger, J., Ramge, T., Durch die Decke denken. Redline Verlag, 2015.
Ideo, Design Thinking for Educators, New York, 2012
Kramer, J., http://www.relevanter.com/; heruntergeladen am: 22.05.2015.
Mootee, I., Designing for strategic innovation, Wiley, 2013.
Plattner, H., Meinel, C., Weinberg, U., Design Thinking. Innovation lernen, Ideenwelten öffnen. München, 2009.
Schallmo, D.: Design Thinking erfolgreich anwenden – so entwicklen Sie in 7 Phasen kundenorientierte Produkte und Dienstleitungen
Schmiedgen, J., Rhinow, H., Köppen, E., Meinel, C. (2015), Parts Without a nWhole? – The Crrent State of Design Thinkinfg Practice in Organizations, Study Report No. 97, Potsdam: Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik an der Universität Potsdam.